Im Schatten des Geschehens
2025
Installation
Material-Raum für Buchkultur, Zürich
Diverse Materialien
Federica Gärtner zeigt Im Schatten des Geschehens
Material – 28.08. – 03.09.25
Fr: 15.00 – 18.00 Uhr & Sa, So, Mo, Di, Mi: 16.00 bis 19.00 Uhr
Kuratiert von Oliver Rico
Ein Ereignis, vielleicht eine Katastrophe. Oder einfach nur das Geschehen. Etwas bricht auf, fällt zusammen und bleibt zurück. Und in seinem Schatten zeigt sich das Unbeachtete. Das, worauf niemand schaut. Der blinde Fleck.
Diese Ausstellung versammelt Werke, die sich mit dem Sichtbaren und dem Verborgenen auseinandersetzen. Sie beschäftigt sich mit Spuren, die ein Ereignis hinterlässt oder die erst dadurch entstehen. Die Künstlerin entfaltet eine dichte, vielschichtige Raumkomposition aus Zeichnung, Objekt, Fotografie und skulpturaler Intervention. Was zunächst disparat erscheint, wird durch ein zentrales Motiv verbunden: der Versuch, das Unsichtbare sichtbar zu machen und zugleich seine Unschärfe auszuhalten.
Im Zentrum steht die Arbeit «Strömung», eine schwarze Fläche aus Gummi, die sich glänzend und ölig über den Boden legt. Das Material verweist auf industrielle Rückstände, auf Öl, auf toxische Substanzen. Es riecht vielleicht noch, und es bleibt zurück wie ein Echo. Das Objekt wirkt amorph, fast lebendig, vermittelt Eindringen und Versickern zugleich. Das „Blubbern“, von dem die Künstlerin spricht, ist mehr als ein Geräusch, es ist ein Sinnbild für Prozesse, die ausser Kontrolle geraten sind. Aus der Gummimasse ragen Kunststoffobjekte hervor, die wie eingeschlossene Fremdkörper aus der Oberfläche hervortreten. Sie stören die glatte Schwärze, wirken wie Relikte, die zugleich verschluckt und wieder ausgespien werden und eröffnen eine weitere Ebene zwischen Rückstand und neuem Aufbruch.
Hinzu kommt die Zeichnung «Kataster» auf Kalkpapier, fragile Liniengeflechte, die an architektonische Strukturen erinnern, an Häuser, Pläne, Räume. Doch nichts ist stabil. Die Linien überlagern sich, stürzen ineinander. Die Wahl des empfindlichen Papiers betont diese Unsicherheit. Der Schmutz, der sich darauf festsetzt, ist Teil des Konzepts. Diese Zeichnung ist kein Entwurf, sondern Spuren eines Wandels.
Ein weiteres zentrales Element ist die Drahtinstallation «Verwirrt», die buschartig in den Raum wächst. Dicke Fäden steigen wie ein Gewächs aus dem Boden oder klammern sich an einen Ort, der nicht greifbar ist. Das Objekt erinnert an Vegetation, bleibt aber künstlich und starr. Es verbindet die Linien der Zeichnung mit dem Raum, bringt die Fragilität der Fläche ins Körperliche. Auch hier bleibt offen: Ist es ein Überrest, ein Wachstum, ein Rückzugsort?
Schliesslich zeigt die fotografische bzw. filmische Szene «Anderswo» eine Figur im Wald. Sie steht still oder bewegt sich kaum sichtbar. Der Wald ist Beobachtungsraum. Eine einfache Konstruktion, die an ein Fernglas erinnert, fordert heraus, genauer hinzusehen. Nicht als funktionales Instrument, sondern als bildhafte Einladung zum Blick.
Die Ausstellung verzichtet auf narrative Klarheit. Die Künstlerin erzählt keine Geschichte, sondern bietet eine Konstellation von Elementen, die miteinander in Spannung treten. Immer wieder fällt das Wort „Katastrophe“, doch sie bleibt offen. Persönlich, politisch, ökologisch, alles fliesst zusammen. Die Formensprache der Arbeiten bleibt andeutend und suchend. Es geht nicht um Erklärung, sondern um das Empfinden eines Zustands.
Der „blinde Fleck“ wird nicht nur thematisch, sondern auch formal aufgegriffen. Er steht für das, was nicht gesehen wird oder nicht gesehen werden will. Für das, was sich entzieht und vielleicht gerade deshalb wirksam wird.
Die Materialien sind schlicht: Gummi, Draht, Papier. Nichts daran ist luxuriös, aber alles trägt Bedeutung. Es geht um Stofflichkeit, um Reibung, um Spuren. Die Künstlerin schafft keine fertigen Bilder, sondern Situationen, in denen sich Wahrnehmung verschiebt.
Im Schatten des Geschehens liegt nicht die Lösung, sondern die Frage. Die Werke laden dazu ein, hinzusehen, wo sonst weggesehen wird. Vielleicht lässt sich dort etwas entdecken. Vielleicht bleibt nur ein Abdruck – wie eine Spur im Schlamm.
Text von Oliver Rico