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Federica Gärtner

Vor der Zeit danach 2010



vor der Zeit danach
Galerie Trudelhaus Baden, 2010
Installationsansicht
Draht, Holz, Schaumgummi, Lochblech, Silikonschläuche, Latex, Wachs, Isolationsplatte, Gummi, Glas, Lack, Folie, Aluminiumplatten, Drahtstifte, Pigmentdruck auf Papier

Versucht man gedanklich auszumessen, was die titelgebenden Worte genau bezeichnen oder auch nur umschreiben, so landet man unweigerlich im Dickicht labiler, rational nicht fassbarer Zwischenzonen. Und damit exakt in dem Wahrnehmungsfeld, in dem sich Federica Gärtners Werk bewegt.
Die Arbeiten der Künstlerin pendeln zwischen Polen wie Anziehung und Abstossung, Schmerz und Lust, ungezügelter Hingabe und Kontrolle. Dabei weist ihre Arbeitsstrategie eine starke Affinität zu Versuchsanordnungen auf, die räumliche und materiale Ausformung der Installationen und Objekte erinnert oft an Laborsituationen. So entwickelt Gärtner für den dreigeschossigen Ausstellungsraum ein installatives Display, in dem jede Ebene eine andere inhaltliche Akzentuierung erfährt. Im Eingangsbereich evozieren dunkle Sandhügel, die teils von Glasscheiben flach gedrückt werden, und die silberne Rettungsfolie die feuchtwarme Atmosphäre von Treibhäusern, von Terrarien, in denen Mikroorganismen wuchern. Einen Stock tiefer ist das Moment der Körperlichkeit intensiviert; das hautfarbene Latextuch, die schwarzen Gummibänder, die glatten Wachskugeln auf der rauen Isolationsplatte und die partiell verklumpten Klebstoffpfützen eröffnen ein assoziatives Spannungsfeld, das zwischen Medizinalbedarf und erotischen Accessoires oszilliert. Visuelle Reize springen jäh in körperliche Wahrnehmungsformen über, man fühlt sich ertappt von den aufblitzenden Empfindungen und gedanklichen Ausschweifungen. Diese ambivalente Bewegung – der Drang nach haptischer Erfahrung bei gleichzeitigem Versuch der Bändigung – verschränkt Gärtner im untersten Raum mit ‹Bildern›, die um die Sehnsucht nach Authentizität kreisen. Angesichts der taktilen Qualitäten des luftigen Duvets, das sich lasziv über die Steinstufen ergiesst, tritt die Materialität der Pseudoholzplatten umso stärker hervor, entlarvt die Wandverblendungen als ungenügende Illusion, als sinnlichen Bankrott.
Wiederkehrende Elemente wie ‹Abschrankungen› aus Blumendraht, die einzelne Raumsegmente absperren, und grossformatige Inkjetprints verklammern die Geschosse miteinander. Gerade letztere fungieren als Auslöser für neue Assoziationsketten, sie überführen das semantische Potenzial der Objekte und Arrangements in ein bildliches Referenzsystem, das zwischen Kommentar und Erinnerung angesiedelt ist. Opulenz und Purismus, Struktur und Wucherungen – in diesen Schwebezuständen verankert Gärtner zentrale Fragen des Daseins: Wie weit reicht Verführung? Ab wann reglementiert der Verstand die Handlungen? Und wo verlaufen die Grenzen des (politisch) Zulässigen? Unaufgeregt, gleichsam im Zustand einer lustvollen Trägheit zwingt uns Gärtners Installation dazu, Position zu beziehen, auch über den unmittelbaren Anschauungsgegenstand hinaus.
Bericht im Kunstbulletin Mai 2010, Text: Irene Müller